15.09.2023 - 09:54 Uhr | News | Quelle: soccerdonna | von: Thomas Deterding / Kay Ole Schönemann
Rann: Wollen alle, dass dieser Sport nach vorne kommt

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©Kai Heuser

Am Freitag startet die Frauen-Bundesliga in die Saison 2023/24. Soccerdonna sprach im Vorfeld ausführlich mit Christina Rann über ihre Erwartungen an die neue Spielzeit und die Sommertransfers der Bundesligisten. Die SPORT1-Kommentatorin wünscht sich eine finanzielle Grundversorgung im Profi-Bereich, erklärt, warum der Frauen-Fußball im Vergleich toleranter ist, blickt zurück auf die WM und bezieht deutlich Stellung zum Fall Rubiales.




Soccerdonna: Bundesliga, 3. Liga, WM, Champions League – Du moderierst und kommentierst momentan mehrgleisig – nun kommt auch die Frauen-Bundesliga für SPORT1 neu dazu. Wie groß ist die Vorfreude auf den Saisonstart?




Christina Rann: Der Fokus liegt momentan tatsächlich voll auf der Frauen-Bundesliga und die Vorfreude ist groß, wenn es jetzt richtig losgeht und die Mädels endlich starten. Da die WM ja aus deutscher Sicht leider ein bisschen früher vorbei war, fühlte sich diese Pause dazwischen noch etwas länger an. Aber ich freue mich jetzt echt auf den Saisonstart und insbesondere auf unseren Auftakt mit SPORT1 am Sonntag, wenn die Wolfsburgerinnen Bayer Leverkusen empfangen.




Soccerdonna: Und ansonsten darf man sich als Fan ab sofort auf den Montagabend freuen …




Christina Rann: Absolut. insgesamt werden es 22 Spiele auf SPORT1 sein – alle Montagsspiele, alle Top-Spiele. Ein, zwei Sonntagspartien sind dann auch dabei, wie jetzt am ersten Spieltag. Ich freue mich vor allem auch auf das Zusammenspiel im Team mit Maik Franz und Lili Engels.




Soccerdonna: Da grätschen wir einmal direkt – im wahrsten Sinne des Wortes – dazwischen: Was verbindet eigentlich den beinharten Ex-Verteidiger Maik Franz mit der Frauen-Bundesliga?




Christina Rann: Ich glaube, er ist ein perfektes Bindeglied zwischen denen, die viel Männerfußball schauen und denen, die sich für den Frauenfußball interessieren. Maik arbeitet mit der Fußball-Akademie „11Teamsports“ zusammen und trainiert in diesem Rahmen auch viele Mädchen. Er hat deswegen auch einen engen Bezug und viel Erfahrung. Ich glaube, dass wir als Duo sehr gut funktionieren und finde auch die Kombi aus Kommentatorin und Experte spannend – andersherum ist man das ja vielleicht schon mal gewöhnt, in dieser Konstellation weniger. Ich persönlich halte Maik inhaltlich für die perfekte Besetzung – und seine „Berliner Schnauze“ wird uns allen guttun. (lacht)




Soccerdonna: Kurzer Rückblick: Deine Zeit als Stadionsprecherin beim Hamburger SV endete im Sommer – wie kam es eigentlich dazu?




Christina Rann: Letztlich war das eine Entscheidung vom Verein, die wir dann auch gemeinsam so kommuniziert haben.




Soccerdonna: Im Rahmen der SPORT1-Pressemitteilung sprachst Du von Vorfreude, „den Fußball wieder neu zu denken und zu erleben“. War es für Dich persönlich auch wieder Zeit für eine Veränderung?




Christina Rann: Darauf zielte die Wortwahl gar nicht ab. Der Perspektivwechsel zur Stadionsprecherin war ja schon spannend und neu für mich. Die nun kommende Aufgabe ist wieder ein bisschen was anderes, nicht zuletzt aufgrund des starken Fokus’ auf den Live-Kommentar. Ich habe natürlich sehr viel als Field-Reporterin und als Moderatorin gemacht. Jetzt kommt wieder eine neue Sichtweise für mich hinzu und zudem hat der Frauenfußball einige Eigenschaften, die ich total spannend finde und die sich gerade entwickeln. Es ist ein wesentlich toleranterer Sport, es gibt taktisch sehr viel zu sehen und zu entdecken – und natürlich der Punkt, der breiten Masse erstmal zu erklären: Wer spielt denn da eigentlich, wer sind die denn da eigentlich? So vieles, was lange eher versteckt stattgefunden hat, jetzt auf die große Bühne zu bringen, das reizt mich total und darauf freue ich mich.




Soccerdonna: Wo siehst Du im Zuge dieser allgemeinen Entwicklung zu mehr Sichtbarkeit aktuell die größten Herausforderungen für die Liga, aber auch für Deine persönliche Arbeit?




Christina Rann: Es entwickelt sich ja gerade so viel. Wir müssen z.B. darüber diskutieren, wie das mit so vielen Fans im Stadion läuft? Also wir freuen uns natürlich erstmal darüber, das bringt aber natürlich auch für die Spielerinnen eine andere Aufmerksamkeit und auf Sicht eine neue Form des Alltags mit sich. Das heißt, wir haben andere Themen, die in diesem Bereich dazu kommen und die man beispielsweise im professionellen Herrenbereich schon lange beackert. Die Entwicklung nimmt jetzt Fahrt auf, ich finde aber, dass sie eine gute Geschwindigkeit hat. Deswegen macht es mir auch Spaß dort persönlich mehr reinzugeben – ich habe sehr, sehr lange über Männerfußball berichtet und habe immer darum gekämpft, natürlich auch da gleichberechtigt zu sein und bin so meinen Weg gegangen. Irgendwann habe ich mich dann bewusster damit auseinandergesetzt, was eigentlich mit den Frauen ist, die diesen Sport betreiben, über den man so lange berichtet und den man so gerne macht. Und deswegen finde ich es unheimlich toll, in dieser Phase mit dabei sein zu dürfen.




Soccerdonna: Du hast den Vergleich zur Situation im Männerfußball gerade angerissen – ganz plakativ gefragt: Wo sind die größten Unterschiede, auch was Deine Arbeit angeht?




Christina Rann: Das Kulturelle ist etwas, was mir positiv auffällt. Bei den Frauen geht es momentan wirklich noch toleranter zu. Mich interessiert es persönlich als Kommentatorin nicht, wen man liebt. Ich vergleiche das gerne mit meinen Erfahrungen aus der Männer- Handball-Berichterstattung, denn da habe ich so ähnlich empfunden: Dieses „Auf-dem-Platz“, diese absolute Wettkampfhärte auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite dann im ganzen Umfeld eben auch ein unterstützendes System, in dem tolerant und respektvoll miteinander umgegangen wird, der Sport im Fokus steht und alle das gleiche Ziel haben.
Ich finde das so spannend, weil sich das in meiner Wahrnehmung auch auf die Sender überträgt. Jetzt haben wir eine Situation, in der viele Sender immer mehr berichten und wir haben alle das gleiche Ziel: Wir wollen, dass dieser Sport nach vorne kommt. Wir wollen, dass darüber berichtet wird, weil wir es spannend finden, weil wir es toll finden, dabei zu sein. Und das ist etwas, was so wenig mit Konkurrenzdenken zu tun hat, sondern wirklich ein unterstützendes System schafft. Das halte ich momentan für den größten Unterschied.




Soccerdonna: Und sportlich betrachtet?




Christina Rann: Sportlich betrachtet diskutiere ich auch immer viel und sage: Für mich gibt es keinen Unterschied, weil ich das Spiel genauso spannend finde. Die Wettkampfhärte ist da, da ist in den letzten Jahren sehr viel passiert, auch in Sachen Körperlichkeit. Von daher komme ich bei dieser Debatte langsam an einen Punkt, an dem ich sage: „Kommt Leute, wo wollt ihr denn jetzt wirklich sportlich oder taktisch noch einen großen, elementaren Unterschied sehen?“ Aber diese Diskussion bleibt manchmal natürlich nach wie vor schwierig.




Soccerdonna: Du hast als Frau Deinen Weg in der Männer-Domäne Fußball erfolgreich gemacht. Vor dem Hintergrund der angerissenen Diskussionen: Gab es in Deinem Werdegang Situationen, in denen Du Dich ungleich behandelt fühltest? Bzw. anders gefragt: Was hat sich im Laufe der Zeit ggf. verändert?




Christina Rann: Ich habe 2008 angefangen als Video-Journalistin, damals bei kicker TV. Und da war es noch ungewöhnlich, dass auch eine Frau mit Kamera und Mikrofon an den Trainingsplätzen der Männervereine aufgetaucht ist. Allein dahingehend hat sich sehr, sehr viel getan, insbesondere, wenn man auf den Posten der Moderatorinnen schaut. Was das Thema Kommentatorinnen angeht, bin ich, wie einige andere auch, nun mit dabei, die vorherrschende Situation ein Stück weit mehr aufzubrechen. Ich hatte zwischendurch das Gefühl, dass das noch die letzte Bastion ist, die aus Männer-Sicht manchmal noch hart verteidigt wird. Gerade wenn es um Diskussionen über die Stimme geht usw. …




Soccerdonna: Wie kommen letztere bei Dir an?




Christina Rann: Für mich persönlich ist es mittlerweile zur Gewohnheit geworden, auch mal eine Frauenstimme zu hören – das ist aktuell ja eher Gang und Gebe. Trotzdem bin ich immer wieder erstaunt, wenn diese unsichtbaren Barrieren in den Fokus rücken oder ein Feedback á la „das ist nicht normal, dass Du das machst“ kommt. Regelmäßig wird mir auch noch die Frage gestellt: „Du interessierst Dich auch wirklich für Fußball?“ Ich glaube, das würde man einen Mann, der in diesem Bereich arbeitet, niemals fragen. Das sind die kleinen Unterschiede, aber es gibt auch viele Situationen, wo ich eben diese im Vergleich zu vor 15 Jahren nicht mehr bemerke und das freut mich dann um so mehr – gerade auch für die jüngeren Kolleginnen, die nachkommen und sich in einer ganz anderen „Welt“ entwickeln können. Das klinge ich jetzt wahrscheinlich wie eine sehr alte Frau! (lacht)




Soccerdonna: SPORT1 oder auch DAZN setzen bewusst auf ein verstärktes Engagement im Frauen-Fußball – wie erklärst Du Dir die Tatsache, dass es vor der WM so ein langes Hin- und Her zu den Übertragungsrechten gab?




Christina Rann: Ich war bei den Verhandlungen natürlich nicht dabei, deswegen finde ich es schwierig, das zu bewerten. Von außen kann ich nur sagen, dass wir sehr lange alle gemeinsam gehofft haben, dass die Übertragung zustande kommt. In den einzelnen Faktoren, die da zum Tragen kommen, stecke ich nicht tief genug drin – wer verlangt mehr, wer kann mehr zahlen, wer kann mehr geben etc. Letztlich kann man den Sendern nur von außen sagen: „Gut, dass ihr das gemacht habt.“ Und die Quoten haben auch gezeigt, dass da sehr, sehr viel passiert und großes Interesse vorhanden ist.




Soccerdonna: Oft hört man von Kritikern, das mediale „Pushen“ des Frauen-Fußballs sei eben gerade „woke“, einen großen Markt dafür gebe es in der Realität aber nach wie vor nicht – was entgegnest Du solchen Stimmen?




Christina Rann: Ich halte das für Quatsch. Ich glaube, dass der in diesem Zusammenhang auch oftmals genutzte Begriff „Hype“ gar nicht mehr zur Realität passt, die wir erleben. Vielmehr besteht ein grundsätzliches gesellschaftliches Interesse daran, dass Frauen Sport treiben und wir dem natürlich auch zugucken. Und vielleicht hätten ein paar Prozent mehr noch einen Zugang gefunden, wenn das Turnier auch für Deutschland länger angedauert hätte. Eine vielleicht auch fußballferne Masse, die man erreicht und die dann auch im nächsten Schritt sagt: „Ach Mensch, die Spielerin kenne ich, da schaue ich vielleicht mal im ersten Ligaspiel vorbei.“
Ich glaube, dass eine breite Masse an interessierten Menschen da ist. Und dass dieses frühe sportliche Aus bei der WM so viele Leute und auch die Medien im Nachgang so beschäftigt hat, ist ein gutes Zeichen. Das wäre vor einigen Jahren noch weniger intensiv ausgefallen. Öffentliche Kritik, Lob, Analyse der sportlichen Leistungen – das ist es, was dieser Sport braucht und was auch die Spielerinnen sich wünschen. Und darum geht es auch für uns im Rahmen der Bundesliga-Berichterstattung.




Soccerdonna: Du engagierst Dich aktuell auch im Rahmen einer Medienkampagne des Hamburger Sportbunds zum Thema „Mehr Frauen in Sportvereinen“ – was kannst Du uns darüber erzählen?




Christina Rann: Das ist eine tolle neue Initiative vom Hamburger Sportbund und der Stadt Hamburg, die „Active City“, und der Hamburger Senat unterstützt das Ganze mit 500.000 Euro an Fördergeld. Es geht darum, dass tatsächlich auch in der Basis in Hamburg die Vereine ganz speziell schauen, wie sie mehr Mädchen und Frauen in die Sportvereine bekommen. Und da ist im Vergleich die Kluft zwischen Männern und Frauen tatsächlich sehr groß und dass nicht nur im Fußballbereich. Ich durfte letztes Jahr den Gleichstellungsbericht präsentieren hier beim Hamburger Sportbund und habe mit den Ohren geschlackert, als ich die Zahlen gesehen habe. Es geht im Zuge der Kampagne nicht nur darum, mehr Frauen und Mädchen zum Sport treiben zu bewegen, sondern auch darüber hinaus eine Teilnahme im Vereinsleben zu fördern und zu unterstützen, beispielsweise in den Positionen der Übungsleiterinnen, Schatzmeisterinnen oder Präsidentinnen. Wenn man da in die Führungsebenen in den Hamburger Vereinen im Breitensport schaut, ist auch da noch sehr viel Luft nach oben. Ich freue mich sehr über diese Initiative und dass ich ein Teil davon sein und die Message #mehrvonuns nach außen tragen darf.




Soccerdonna: Ein aktuelles Thema, auf das wir später noch eingehen ist der Fall Rubiales – an dieser Stelle schonmal eingeschoben: Ist es ein Problem für die Entwicklung des Frauen-Fußballs, dass auf Führungsebene bei Vereinen und Verbänden nach wie vor meist Männer das Sagen haben?




Christina Rann: Definitiv muss da noch mehr passieren. Es ist gut, dass es mittlerweile auffällt und man genauer hinschaut, wo eigentlich Frauen in Verantwortung sind. Auch beim DFB tut sich dahingehend ja etwas, Generalsekretärin Heike Ullrich ist ein sehr positives Beispiel. Auch sie hat aber die Erfahrung machen müssen, dass man sie sehr lange nicht in ihrer Funktion respektiert, sondern sie immer mit dem Frauenfußball verbunden hat, obwohl sie für den gesamten Spielbetrieb verantwortlich ist. Deswegen finde ich auch, dass noch mehr Frauen in Führungspositionen gehören, weil dadurch Entscheidungsprozesse einfach heterogener werden, der Blickwinkel oft auch nochmal ein anderer ist. Und das tut der Sache ja immer gut.




Soccerdonna: Wie bewertest Du die Debatten um die Bezahlung im Frauen-Fußball?




Christina Rann: Eine in diesem Zuge oft thematisierte „Angleichung“ empfinde ich allein deshalb als extrem schwierig, wenn man sich anschaut, welche Gehälter in der Männer-Bundesliga gezahlt werden. Die Basis ist ja erstmal ein Grundgehalt – es gibt ein paar Vereine, Nürnberg zum Beispiel, die zahlen das erste Mal überhaupt dem kompletten Kader ein Grundgehalt. Das muss man sich mal vorstellen. Ich wünsche mir für alle Spielerinnen, dass eine Grundversorgung gesichert ist. Dafür, dass sie so viele Menschen mitnehmen – was ich ja so an der Fußballkultur im Allgemeinen schätze – und ihre Knochen hinhalten, haben sie das mehr als verdient.




Soccerdonna: Auch beim Thema Sponsoring scheint im Frauen-Fußball noch viel Luft nach oben.




Christina Rann: Absolut. Aber auch viele Unternehmen verstehen langsam, dass der Frauen-Fußball auch ein Business Case ist. Das soll jetzt keine Werbung sein, aber mit „Google Pixel“ kommt in der Bundesliga wieder ein starker Partner dazu. Der Sport ist professionell und auch die Finanzierung sollte professionell sein. Und trotzdem muss man schauen, dass Vereine ihre Abteilungen in Ruhe wachsen lassen können. Ich hoffe, dass immer mehr Klubs ihre Frauenabteilungen auf Sicht professionalisieren und auf sichere Füße stellen können.




Soccerdonna: Klubs wie der FC Bayern haben im Sommer einige hochkarätige Transfers getätigt …




Christina Rann: … und ich weiß auch noch genau, als die Push-Mitteilung der Transfers von Magdalena Eriksson und Pernille Harder bei mir aufschlug – und die hatte den Effekt, dass ich mich so gefreut habe, wie bei anderen großen Transfers im Männerbereich, „Ruud van Nistelrooy zum HSV“ oder sowas. (lacht) Es war auch total spannend zu hören, dass mir viele Spielerinnen bei den Media Days kürzlich gesagt haben, dass die beiden sich so schnell in diesem Team zurechtgefunden haben. Die Mischung beim Meister ist gut, du hast zum Beispiel mit Eriksson so eine erfahrene Spielerin an Bord geholt und auf der anderen Seite beispielsweise eine 22-jährige Maria Luisa Grohs im Tor, die noch so viel lernen kann. Ich bin total gespannt auf die Abwehr der Bayern.




Soccerdonna: Trotzdem ist die Kluft zwischen den Münchnerinnen, Wolfsburg und Co. auf der einen und finanziell schwächer gestellten Klubs auf der anderen Seite nach wie vor groß.




Christina Rann: Und umso respektabler ist es, wie insgesamt in der Liga alles probiert wird, um die Strukturen zu verbessern und für alle zum Beispiel einen guten Trainingsstandard zu haben. Es gibt natürlich diese Spitzengruppe, aber das ist in allen anderen Sportarten auch so. Dennoch, wie eben schon erwähnt: Dass manche vielleicht noch immer kein Grundgehalt bieten können, nicht auf den Trainingsplatz können, weil es da kein Flutlicht gibt – überspitzt gesagt –, das sind diese Verrücktheiten und Dinge, die missständig sind.




Soccerdonna: Teams wie Turbine Potsdam, SC Sand oder SGS Essen dürften auf Sicht auch aufgrund der neuen Regel aus der Bundesliga verdrängt werden, wonach Männervereine entweder eine Kooperation mit einer Frauenmannschaft eingehen oder selbst eine solche stellen müssen. Wie stehst Du dazu?




Christina Rann: Grundsätzlich ist die Idee dahinter keine verkehrte und ich hoffe, dass man in diesem Prozess auch Rücksicht darauf nimmt: Was sind wirklich die Bedingungen vor Ort für einen Verein? Es sollte ein ernsthaftes Engagement nach sich ziehen und nicht zu einer Denke wie „Oh, jetzt müssen wir das mit dieser Frauen-Mannschaft auch noch umsetzen“ führen. Man sollte der Idee eine Chance geben und dann im nächsten Schritt in erster Linie das Feedback der Vereine hören.




Soccerdonna: Dein Einlauftipp für die Frauen-Bundesliga-Saison 2023/24?




Christina Rann: Mit Tipps bin ich immer ganz schlecht. (lacht) Ich denke, es wird sich am Ende wieder zwischen Wolfsburg und Bayern entscheiden. Ich finde Frankfurt aber auch total spannend: Wie kommen die damit klar, dass sie jetzt in der Champions League unterwegs sind? Vielleicht ist im oberen Tabellendrittel noch ein bisschen mehr Musik drin, als im letzten Jahr, ich bin sehr gespannt, wie sich die Spitzengruppe erweitert. Wie viel Anschluss bspw. eine Mannschaft wie Hoffenheim wirklich halten kann. Wird es eine Mannschaft geben, die am Anfang überraschend wirbelt und die man im Vorfeld vielleicht noch nicht auf dem Zettel hatte? Und was ist mit den Aufsteigerinnen? Ich bin sehr gespannt auf Leipzig, die auch ganz erfahrene Spielerinnen dabeihaben. Aber mit einem endgültigen Tipp tue ich mich schwer.




Soccerdonna: Kommen wir noch zu Deiner persönlichen WM-Bilanz: Was hat das Turnier im Sommer bewirkt und was waren Deine sportlichen Highlights?




Christina Rann: Es hat bewirkt – und das ist immer erstmal genau so normal wie wichtig –, dass sich die Leute mit Frauenfußball auseinandergesetzt haben. Dass sie geguckt haben. Und zwar nicht nur die deutschen Spiele. Das finde ich total positiv. Man hat gesehen, welches gute Niveau es auf internationalem Level gibt. Das Finale war total spannend und ist eine meiner Highlight-Erinnerungen. Für mich persönlich war es auch eine tolle Erfahrung, als Teil einer weltweiten Gruppe von Frauen für den kanadischen Sender TSN zu kommentieren. Wir waren alle in einer WhatsApp-Gruppe vernetzt und haben uns dort auch fachlich immer ausgetauscht. So konnte ich über die ganze Welt verteilt Kolleginnen und deren Arbeitsweisen kennenlernen. Das bleibt bei mir – und von anderen Dingen, die zuletzt in den Schlagzeilen waren, hätte ich lieber, dass sie nicht bleiben …




Soccerdonna: Du spielst auf Rubiales an, der nach wochenlangem und zähem Hin- und Her zu Beginn der Woche endlich seinen Rücktritt verkündete. Wie blickst Du speziell auf dieses Thema, dass den sportlichen Triumph der Spanierinnen gefühlt komplett überschattete?




Christina Rann: Das Verhalten von Herrn Rubiales war der Versuch, eine ganz alte patriarchalische Struktur zu verteidigen. Dass er sich so in die Ecke gedrängt fühlte, anstatt einfach zuzugeben: „Ich habe da wirklich einen Fehler gemacht“, ist auch für mich völlig unverständlich. Den Ansatz, die Geschehnisse ein Stück weit über das Euphorie-Gefühl erklären zu wollen, verstehe ich. Aber es geht in dieser Sache um die Spielerin und nicht um ihn. Er war übergriffig. Und für mich ist das ein sexueller Übergriff, wenn dich jemand ungefragt auf den Mund küsst. Es wurde danach viel darüber gestritten, ob und wie Jenni Hermoso vielleicht anders hätte reagieren sollen – diese Frau hat gerade ein Weltmeisterschaftsfinale gespielt, sie hat gerade einen riesigen, wenn nicht den größten Erfolg ihrer Karriere gemeinsam mit ihrem Team erzielt und in dieser Sekunde ist es ihr sicherlich nicht möglich, diese Tragweite zu bewerten und entsprechend zu reagieren. Spielerinnen müssen vor solchen Situationen vielmehr von vornherein geschützt werden.




Soccerdonna: Die Szenen werden neben dem sportlichen Teil eines jeden WM- oder Jahresrückblicks sein. Wie sollte man damit auch in der öffentlichen Debatte weiter umgehen?




Christina Rann: Das Ganze hat im Nachklapp, eine absurde Dramatik angenommen, wenn ich beispielsweise an die vom Verband gefälschten Zitate Hermosos denke … Dabei müssen wir auf den Kern zurück. Die öffentliche Diskussion darüber ist gut, aber sie darf eben nicht in diese falsche Richtung á la „Man darf ja gar nichts mehr machen und sagen“ gehen. Dieses Verhalten ist übergriffig und wir können auch ganz in Ruhe und sachlich attestieren: Das macht man nicht. Punkt. Ende.




Soccerdonna: Abschließend: Welchen Stellenwert hat Soccerdonna für Dich und was würdest Du uns für die Zukunft mit auf den Weg geben, wenn Du Dir etwas wünschen könntest?




Christina Rann: Für mich ist Soccerdonna absolute Pflichtlektüre vor einem Spiel. Und damit bin unter Kolleginnen und Kollegen nicht alleine. Es ist ganz lustig, weil ich manchmal auch in Gesprächen kritisiere, dass Informationen über die Spielerinnen noch etwas rar gesät sind und ich dann immer als Antwort bekommen: „Ja, aber guck doch auf Soccerdonna.“ Ich sage dann „ja, das weiß ich doch.“ (lacht) Manchmal ärgere ich mich aber auch, wenn in einem Profil mal eine Größenangabe fehlt oder sowas, das gebe ich zu. Da habt auch ihr noch Luft nach oben! (lacht) Aber insgesamt ist die Seite für mich eine Basis, weil ich weiß, dass das, was ich bei euch finde, valide Informationen sind. Es geht um den Sport, es geht um die Fakten. Und die brauchst du.



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