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26.10.2020 - 15:50 Uhr | News | Quelle: dpa | von: Ulrike John
Zum Fremdschämen: Umgang mit Fußballerinnen in den 70er Jahren
©picture-alliance
«Früher nicht erlaubt. Heute verboten gut.» So wirbt der DFB für seine Fußballerinnen. Und: «Unsere Frauen. Echte Vorbilder.» Der Verband hat jahrzehntelang gebraucht, um dahin zu kommen. Vor 50 Jahren erst wurde das Verbot für Frauenfußball aufgehoben. Den Umgang mit den Kickerinnen in den Anfangsjahren haben viele nicht vergessen: Macho-Sprüche, schräge Witze, respektlose Bemerkungen und selbstherrliche Zweifel am Frauen-Gekicke überhaupt. Es ist ein Kapitel zum Fremdschämen.
«Manche kamen einfach nur, um zu gaffen», erinnert sich Bärbel Wohlleben. Sie gewann 1974 mit TuS Wörrstadt die erste offizielle Meisterschaft und wurde als erste Frau für das «Tor des Monats» ausgezeichnet. Eine Frage, die sich die heute 76-Jährige damals in der ARD-Sendung anhören musste, war: «Wie machen Sie das mit Kopfball, wenn die Haare frisch onduliert sind?»
Die Kameras, erzählt sie im Interview der Deutschen Presse-Agentur, waren oft dahin gerichtet, «wo sie nicht hingehören, wenn man Sport übertragen will». Gerne auf Busen oder Po. Mit Sprüchen wie: «Lassen Sie sich doch mal eine Sexbombe aufs Tor knallen!». Oder: «Sie spielen, um ein paar Pfunde loszuwerden in heißen Höschen.» Oder: «Statt Kinder, Küche, Kirche wird es für Deutschland jetzt öfter heißen: kicken, köpfen, kämpfen.»
Eine bemerkenswerte ARD-Dokumentation («Der größte Gegner ist das Klischee - 50 Jahre Frauenfußball») zeigt Bilder und Kommentare aus einer Fußball-Zeit, die heute undenkbar sind. «Es ging immer nur um das Gleiche: Trikottausch. So war das», sagt die frühere Nationalspielerin und Bundestrainerin Silvia Neid (56/Foto)). Das vielzitierte Kaffeeservice, das sie und die Europameisterinnen von 1989 als Prämie erhielten, ist eher eine Randnotiz in der Historie.
Nina Degele, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Universität Freiburg, sieht den Fußball damals als «eines der seltenen Reservate, in denen Männer Emotionen ausleben dürfen und sollen, die sie sonst unterdrücken: Tränen, Umarmungen, Körperlichkeit. Frauen wurde diese Emotionalität im Fußball - und gerade dort - abgesprochen, weil sie damit eine männliche Exklusivität herausfordern.»
Insofern sei gerade nach dem WM-Erfolg der Fritz-Walter-Mannschaft 1954 wichtig gewesen, die Frauen draußen zu halten: «Sie haben Deutschland nach Kriegsende wieder aufgebaut und gezeigt, dass sie die Männer nicht brauchen. Damit waren sie auch eine Bedrohung für die Männer.» Die trugen ihre erste nationale Meisterschaftsrunde schon 1903 aus. Das erste Länderspiel war 1908 - das der Frauen erst 1982.
Professionell sollen sie sein, aber um Gottes willen nicht ihre Weiblichkeit verlieren, so Degele. Dass es den Kickerinnen aber nicht um sexy Weiblichkeit ging, habe Rekordnationalspielerin Birgit Prinz bereits vor über 16 Jahren deutlich gemacht: «Wir möchten unseren Sport vermarkten, nicht unseren Hintern.» Das gelte heute noch.
«Es hat natürlich Jahrzehnte gedauert, bis der DFB peu à peu Zusagen erteilt hat. Die erste offizielle Meisterschaft erst 1974, das erste Länderspiel 1982. Es waren etwas ältere Herrschaften, die nicht so flott dabei waren, Neuerungen vorzunehmen», sagt Pionierin Wohlleben.
Typische Attribute von damals: «Mannweiber» oder «Kampflesben». Die Funktionäre öffneten auch nicht gerade freudestrahlend die Türen für kickende Mädchen und Frauen, als sie beim Bundestag am 31. Oktober 1970 in Travemünde den im Jahre 1955 gefassten Beschluss, Spiele von Damenfußball nicht zu gestatten, aufhoben. Sie befürchteten auch, dass die Fußballerinnen einen eigenen Verband gründen würden. Und sie wollten «Ordnung schaffen», hieß es. Nicht dass dieser Sport in die Hände von dubiosen Veranstaltern von Schlammcatchen falle.
«Sie dachten, das wird schon in zwei Jahren wieder vorbei sein. Das ist eine Modeerscheinung», erklärt Hannelore Ratzeburg, als einzige Frau seit Jahrzehnten in den DFB-Führungsgremien vertreten. Als Gero Bisanz 1982 Bundestrainer wurde, musste der sich wieder und wieder fragen lassen: «Duschen Sie auch mit den Frauen?» Ihr Sport, schreibt Ex-Weltmeisterin Steffi Jones in ihrer Biografie, «wurde belächelt und diskriminiert von einer konservativen Männerschar».
«Man muss sich einfach in diese Zeit zurückversetzen. Die Frau war damals sehr abhängig vom Mann, auch finanziell», erklärt Wohlleben, die einst als einzige Jugendliche in ganz Rheinland-Pfalz in einer Jungs-Mannschaft spielte. «Wenn eine Ehefrau arbeiten wollte, brauchte sie die Zustimmung des Mannes. Und die Frauen haben immer gekuscht, wenn die Männer etwas bestimmt haben.» Noch bis 1977 durfte eine Frau in der Bundesrepublik nur dann berufstätig sein, wenn das «mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist».
1970 lud Wim Thoelke ein paar Fußballerinnen ins ZDF-«Sportstudio» ein und machte sich dabei Sorgen, dass deren «empfindliche» Beine durch diesen Sport Schaden erleiden könnten - das wolle ja kein Mann.
Bis heute hält Thoelke mit seinen Kommentaren zu einem Spiel laut Moderator Arnd Zeigler («Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs») den Weltrekord mit den meisten Chauvi-Sprüchen innerhalb einer Minute. Beispiel: «Das ist das Schöne an Frauen, sie gehen auch mit einem Ball zart um.» Oder: «Da hat Mutter eine wunderbare Flanke nach halblinks gegeben.» Oder: «Die Zuschauer brauchen sich gar nicht aufzuregen, die Frauen waschen doch ihre Trikots selber.» Und: «Decken! Decken! Decken! Nicht die Stecken! Manndecken - frei von allen kleinlichen Sorgen von Haushalt, Mann und Kinder.»
«Das war schon sehr, sehr geschmacklos», sagt Wohlleben heute. Rachegelüste nach der lang verschmähten Anerkennung empfindet selbst die heutige Generation noch. «Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze» - so lautete ein Slogan des Nationalteams vor der WM 2019. Der Kampf gegen Klischees ist halt nicht vorbei, auch wenn sich die Sportart phänomenal entwickelt hat. Neid tut's für den 1995 gestorbenen Wim Thoelke «eigentlich leid», dass er die Bilder vom Frauenfußball heute nicht mehr sehen kann.
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