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11.07.2020 - 22:34 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna | von: Henrik Stadnischenko
Pichatzek verlässt Wolfsburg - Neuen Herausforderungen stellen
©VfL Wolfsburg
Innerhalb der letzten 15 Jahren hat sich die Frauenmannschaft des VfL Wolfsburg von einer durchschnittlichen Bundesligamannschaft zu einem europäischen Spitzenteam geformt. Diese Entwicklung durfte Frank Pichatzek fast komplett begleiten. 2001 war er zunächst als Co-Trainer zu den Bundesliga-Frauen des WSV Wendschott gekommen, aus denen später die Frauen-Abteilung des VfL Wolfsburg hervorging. Dabei hatte der 57-Jährige nie die Intension Fußballtrainer zu werden, für ein Umdenken sorgte die zweimalige Fußball-Europameisterin Petra Damm. „Ich kannte die damalige WSV-Trainerin Petra Damm aus Kindertagen. Sie war das einzige Mädchen, das mit uns auf der Straße Fußball spielen wollte. 2001 spielte ich selber noch aktiv Fußball und irgendwann sprach mich Petra mit den Worten an: 'Frank, langsam reicht es auch mal, willst du nicht mit dem Fußball aufhören und mein Co-Trainer werden?' Eigentlich hatte ich nie großes Interesse an dem Trainerdasein. Entschied mich aber eine Art Probetraining/Probewoche mitzumachen und wurde sofort angefixt. Mir hat die Arbeit total Spaß gemacht und habe in ihr eine große Leidenschaft gefunden“, erklärt Pichatzek, der jedoch zunächst nur eine Spielzeit blieb. 2004 kehrte er unter Bernd Huneke zurück und blieb fortan über 15 Jahre als Co- und Torwarttrainer dem Verein treu. Wenn man so lange dabei ist und dann auch noch für ein und denselben Verein, verliert man dann nicht die Motivation oder gar den Antrieb? „Nein, auf keinen Fall. In meiner Anfangszeit gab es beim VfL noch kein Profitum. Alle Spielerinnen, selbst die Nationalspielerinnen Claudia Müller und Stefanie Gottschlich, gingen regulär ihrer Arbeit nach, studierten oder befanden sich in einer Ausbildung. Besonders beeindruckend fand ich, dass die Mädels trotzdem in jedem Training mitzogen. Leider wird der Frauenfußball von vielen immer noch nicht ernst genommen, aber man muss sagen, dass die Frauen mehr Willen und Biss haben sich zu verbessern, als die Männer“, betont Pichatzek.
In seinen Anfangsjahren beim VfL Wolfsburg war die Frauenmannschaft deutlich vom Spitzenfußball entfernt, schlimmer noch: In der Spielzeit 2004/2005 mussten die Wölfinnen den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten. „Das war ein Riesenschock für uns. Selbst Martina Müller, die im Winter zu uns gekommen war, konnte den Abstieg nicht verhindern. An die erste Partie in der zweiten Liga erinnere ich mich noch gut. Wir spielten gegen Turbine Potsdam II. Wir dominierten das Spiel, hatten zehn oder noch mehr Chancen und verloren am Ende das Spiel dennoch mit 0:1. Zum Glück ist die Saison, trotz der Niederlage, halbwegs passabel gelaufen“, erklärt Pichatzek mit einem Augenzwinkern. Am Ende stand der sofortige Wiederaufstieg in die Bundesliga fest. Nur eine Niederlage kassierte der jetzige Double-Sieger damals in der gesamten Spielzeit. Großen Anteil an der Rückkehr ins Fußball-Oberhaus hatte die damalige Nationalspielerin Martina Müller mit 36 Toren. Jene Müller bezeichnet Pichatzek als „Miss VfL“. „Als wir 2005 abgestiegen sind, war Martina eine der ersten Spielerinnen die gesagt hat, ich bleibe auch in der zweiten Liga. Zu der Zeit war sie Nationalspielerin und hatte Angebote von Top-Vereinen aus der Bundesliga. Sie hat alles mit aufgebaut. Die Erfolge des VfL sind auch eng verbunden mit ihrem Namen. Neben Martina Müller hat auch Nadine Keßler den Verein geprägt. Ich habe während meiner VfL-Zeit keine Spielerin mit einem größeren Siegeswillen gesehen. Selbst bei Warmmachspielen oder im Training wollte sie immer gewinnen und hat ihre Mitspielerinnen gepusht“, spricht der 57-Jährige über die Schlüsselspielerinnen der letzten Jahre. Ab welchen Augenblick hatte Pichatzek das Gefühl, der Frauenfußball beim VfL läuft in eine erfolgreiche Richtung? „Ab 2008 wurden die ersten Weichen gelegt. Mit Ralf Kellermann verpflichtete man einen Vollzeittrainer. Es wurden über die Jahre nachhaltige Strukturen gelegt und Profi-Bedingungen geschaffen. Ralf Kellermann hat es geschafft Spielerinnen zu verpflichten, die sportlich, aber auch charakterlich zueinander passen und eine harmonische Mannschaft ergeben. Das war meiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg in den letzten Jahren“, so Pichatzek. Würde der ehemalige Co-Trainer soweit gehen und sagen, dass man in der Spielzeit 2012/2013, als die VfL-Frauen das Triple gewannen, die beste VfL-Mannschaft aller Zeiten gesehen hat? „Nein, da wir nicht wissen, was in den nächsten Jahren noch kommt. Vielleicht gewinnen die Mädels dieses Jahr noch die Champions League. Ich vergleiche ungern, weil im Fußball auch viel Glück dazugehört und eine Mannschaft hervorzuheben, nur weil sie einen Titel mehr gewonnen hat, ist schwierig. Es wäre etwas anderes, wenn man 2013 den letzten Titel gewonnen hätte oder seitdem nur einmal DFB-Pokal-Sieger geworden wäre, dann könnte man die 2013er-Mannschaft hervorheben. So nicht“, betont Pichatzek. Was war seiner Meinung nach das Erfolgsrezept für das Triple? „Absoluter Teamgeist. Ich erinnere mich an eine Situation beim Warmmachen, als Zsanett Jakabfi Anna Blässe fragte, ob diese nach dem Training noch ins Kino mit wolle. Dies hörten weitere Spielerinnen und fragten, ob sie ebenfalls mitkommen dürften. Am Ende ist die gesamte Mannschaft geschlossen ins Kino gegangen. Ein weiterer großer Vorteil war, dass keiner mit uns rechnete – nicht mal wir selbst. Unser Ziel war ein Titel. Mit dem DFB-Pokal hätten wir uns schon zufrieden gegeben. Es ist auch noch heute einfach unglaublich, dass es am Ende für drei große Erfolge reichte. Besonders an das Champions-League-Finale gegen Lyon erinnere ich mich noch genau. Lyon war die Macht in Europa. Sie waren fast drei Jahre ungeschlagen. Wir waren der Underdog. Zunächst war ich tiefenentspannt, nach dem 1:0 kam jedoch die Nervosität. Unser anderer Co-Trainer Marc- Oliver Stricker sagte nur: 'Frank bleib ruhig. Lyon hat keinen Plan B, die sind davon ausgegangen sie können uns überrennen und es wird ein einfache Nummer.' Nach dem Schlusspfiff gab es kein Halten mehr und wir haben mehrere Tage durchgefeiert. Das lag auch daran, weil wir zuvor den Meistertitel und den DFB-Pokal-Sieg nicht feiern konnten, schließlich lag das Champions-League-Finale noch vor uns“, blickt Pichatzek zurück. Die Erfolge der vergangenen Jahre sorgten dafür, dass die Frauen eine größere Wertschätzung innerhalb der Stadt und bei Volkswagen bekamen. Das Budget wurde mit der Zeit immer weiter aufgestockt und 2016 entschied man sich auf Vollprofitum umzustellen. Für Frank Pichatzek hatte dies zur Folge, dass er seine Rolle als Torwarttrainer und Co-Trainer in der Profimannschaft abgeben musste. Grund dafür war die Entscheidung seinen Job bei Volkswagen nicht aufgeben zu wollen, denn im Gegensatz zum Cheftrainer und den anderen Assistenztrainern arbeitete der 57-Jährige nicht Vollzeit beim VfL. Da der Verein ihn ungern ziehen lassen wollte, entschied man sich ihn und seine Fähigkeiten und Erfahrungen im Nachwuchsbereich einzubauen. „Für mich war auch diese Aufgabe mit viel Spaß verbunden, aber auch verbunden mit dem Antrieb den VfL im Torwart-Nachwuchsbereich neu zu strukturieren. Zum einen gab zu dem Zeitpunkt im Nachwuchsbereich kein Torwarttraining. Zum anderen hatte keine VfL-Torhüterin den Sprung aus dem Nachwuchsbereich in den Profibereich geschafft. Besonders stolz macht es mich, dass ich Spielerinnen wie Manon Klett und Melina Loeck im Nachwuchs ausbilden konnte. Beides sind Torhüterinnen von denen wir in der Zukunft noch viel hören werden“, ist sich der 57-Jährige sicher, der den VfL zum 30.6 verlassen hat. Wohin es ihn zieht, weiß er selbst noch nicht. Allgemein wünscht er dem Frauenfußball für die Zukunft eine noch größere Wertschätzung. „Ich finde es toll, das große Vereine, wie Schalke 04 oder Borussia Dortmund, konkret planen in den Frauenfußball einzusteigen. Es herrscht noch viel ungenutztes Potenzial in diesem Bereich. Ich hoffe und wünsche mir, dass in nächster Zukunft noch mehr Zuschauer den Weg in die Stadien finden – vorausgesetzt die Corona-Situation lässt es zu. Darüber hinaus wäre es erstrebenswert, dass sich der Fußball so entwickelt, dass die Frauen in der ersten Bundesliga komplett vom Sport leben können und nicht nebenbei noch arbeiten müssen“, so Pichatzek zum Abschluss.
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