30.08.2022 - 20:17 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna | von: Framson
Der Frauenfussball nach der Europameisterschaft 2022

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Die Faszination des Frauenfussball ist in Europa im Sommer des Jahres 2022 spürbar erwacht. Es wurde viel darüber geschrieben und gesagt, dass der Sport, die Sportart, der Deutsche Fussballbund, die Vereine und die Spielerinnen sich jetzt rasch entwickeln müssten, um den Schwung nicht zu verlieren und weiter an Popularität zu wachsen.

Die Begeisterung, die der Frauenfussball nachweislich auszulösen vermag, darf und sollte als unstrittig betrachtet werden. Die Frage lautet demnach nicht, ob diese Verankerung und Etablierung angestrebt werden sollte, sondern wie.

An dieser Frage scheiden sich die Geister. Auf den ersten Blick überrascht das nicht, denn die Frage nach dem "populär werden und es auch bleiben" treibt viele Menschen des Sports, der Künste, eigentlich aller denkbaren Sparten um, die vor einer breiten Öffentlichkeit etwas schaffen wollen, das nachhaltig wahrgenommen wird.

Weit vor der großen Fanbase steht das Minimalziel, überhaupt mit dem eigenen Angebot ein erstes Interesse zu wecken, das kurzfristig zu einem konstanten Interesse anwachsen soll, damit es sich in unserer schnelllebigen Zeit nicht gleich wieder verliert oder von einem anderen Thema überholt wird. Dafür braucht es eine konkrete, haltbare Nähe zu denen, die aufmerksam geworden sind. Anders gesagt: dezente, mediale Dauerbeschallung.

In den goldenen Zeiten des Herrenfussballs im Hamburger Raum der frühen achtziger Jahre, als bestimmte Namen von fliegenden Kopfballungeheuern, unermüdlichen Flankengöttern und durchsetzungsstarken Torhütern während der Saison an jedem Wochenende praktisch in aller Munde waren, funktionierte die Sache quasi wie von selbst. Es waren die eigenen Väter und Mütter, Brüder und Schwestern, Freundinnen und Freunde, die sich für ihr Team begeisterten, als würde es sich um die eigene Familie handeln.

Dafür waren weder Social Media-Kanäle noch Apps auf dem Smartphone, keine Flatscreens oder Navis für den Weg zum Auswärtsspiel notwendig. Jeder wusste alles über seinen Verein oder glaubte es zumindest und gab keine Ruhe, um noch mehr zu erfahren. Das Radio bot dem Ohr das Tor zur Welt, wenn gerade kein Fernseher in der Nähe war. Heute haben wir andere Mittel an der Hand.

Die Ausgangslage hat sich eventuell nicht so sehr geändert. Auch, wenn heute jede und jeder allen alles jederzeit präsentieren kann, gilt es auf die Ausgangspunkte zu schauen, wie die Leidenschaft, die aus Interesse erwachsen kann, geweckt werden soll. Es waren damals sicher auch die Vereine, die Identifikation geschaffen haben. Doch mehr waren es die Spieler. Die Menschen. Die Helden.

Es waren einzelne Namen, die ein großes Ganzes, sprich den Verein zu dem machten, was bei bloßer Namensnennung leuchtende Augen bei den Menschen hervorrief, die zuhörten. Es war die Stimme des Siegtorschützen im Interview nach dem Spiel, bei dem das eigene Fussballherz einen Freudensprung machte und Pläne, wie man an ein Autogramm des Fussballgottes gelangen könnte, dessen Stimme man gerade gehört hatte und den man emotional irgendwo zwischen einem Rockidol, dem eigenen Vater und dem Papst verortete.

Doch Autogrammkarten locken heute weit weniger Menschen hinter dem Ofen hervor oder Menschen in ein Fussballstation. Die Stimmen hört man von zuhause aus im Internet, wozu also hingehen? Diese Frage hätte man mal den Fans aus der Ära der Bananenflanken stellen sollen, die sich kein zweites Mal überlegt hätten, sofort ja zu sagen und sich die Spielteilnahme zu sichern, um ihre Stars zu sehen und anzufeuern.

Das Fundament, das für diese Fanliebe, Leidenschaft und Begeisterung eine Plattform bot, sollte genau beleuchtet werden, um den Weg ein zweites Mal zu gehen. Denn im Grunde könnte es sein, dass alles schon da ist, was dazu benötigt wird. Nicht genug, nicht in der Tiefe und Breite, wie es sein könnte, doch es gibt mehr als einen guten Anfang, auf dem sich aufzubauen lohnt.

Der Reichtum an Inhalten, die das menschliche Gehirn frequentieren, war nie zuvor so hoch wie heute. Der moderne Fan kann weiblich, männlich, divers oder anders durch die Welt gehen, doch eins vereint wohl alle. Es ist die Begeisterung für Menschen, die einem sympathisch sind, für die man sich einsetzen oder kämpfen würde, sie im Wettkampf anfeuern oder sogar lieben könnte.

Die Superheldenfilme, die in den vergangenen sechzehn Jahren weltweit viele junge und erwachsene Menschen inspiriert und beeinflusst haben, zeigten auf eine andere Art, wie man sich einen Weg in die imaginäre Familie bahnen kann. Ein Donnergott mit ein paar lustigen Sprüchen zum Frühstück kommt immer gut an. Doch auch dort steckt weit mehr dahinter, als das Auge sieht.

Es ist die Tiefe eines umkämpften Universums, die in diesem Beispiel durch die erschaffene Dichte, die Dramaturgie, die dadurch ausgelöste Emotionalität und Spannung und schließlich auch Zuneigung zu als besonders liebenswert oder heroisch wahrgenommenen Charaktären emotionale Bindungen entstehen lässt, die Gänsehautgefühle und ein Mitfiebern beim Anschauen auslöst.

Wer keine fliegenden Hammerschwinger mag, wird bei den neuen Königssagen oder Bankräubern in roten Jumpsuits fündig. Bei diesen Beispielen hat die Herstellung der Bindung keine Eingabe der Familie benötigt. Zudem handelt es sich in den Geschichten um fiktive Rollen anstelle realer Personen. Hier haben neue Medien, klassische Werbung, Comics und Zeitschriften, Messen, Public Events und mehr eine eindrucksvolle Wirkung gezeigt, um neue Marken zu setzen. Zum Glück widerspricht es sich nicht, die Weichen für die Zukunft des Frauenfussballs auf beiden Säulen nach vorn zu bringen.

Dafür braucht es bestenfalls nicht nur eine, sondern wie beim Beispiel der Familie mit Kindern, an welche die Begeisterung weitergegeben wird, gleich mehrere Generationen mit hohem Interesse für den Sport und die darin aktiven Akteurinnen, um nach diesem Muster erfolgreich zu sein und es zu bleiben. Für kurzfristigere Erfolge bieten die neuen Medien in der Breite und Tiefe unendliche Möglichkeiten der visuellen und auditiven Ansprache, um Nähe zu den Fans herzustellen.

Denn unter dem Strich sind es nicht nur die Marken, die Vereine, die Kategorien oder Genres, die aus mäßig interessierten Menschen echte Fans werden lassen. Am Ende sind es die Menschen und ihre Geschichten, für die sich andere Menschen interessieren. Erst danach kommen der Sport, die Action, die Dramatik des Spiels. Stehen die Menschen im Mittelpunkt, gewinnen sie das Interesse anderer Menschen.

Je größer die Basis wird, die sich mit den Aktiven in der Sportart Frauenfussball emotional verbinden, um so schneller kann dieses Fundament wachsen. All jene, die über die Mittel und die Möglichkeiten verfügen, sind nun gefordert, diese Vernetzungen voranzubringen. Das kann schon in der Gemeindearbeit bei der Jugendförderung beginnen.

Die Vereine können gefördert, die Präsenz in der Medienwelt gestärkt und ausgebaut und die Breite genutzt werden, die Vorzüge der Sportart und die Einzigartigkeit der Gesichter und Charaktäre dahinter, die der Frauenfussball bietet, hervorzuheben. An medialen Plattformen und fähigen Werbern sollte es nicht mangeln, dabei eine Tiefe für ein dauerhaftes Interesse zu schaffen.

Um die Fans dafür zu begeistern, die Spielerinnen aus der Nähe sehen, erleben und unterstützen zu wollen. Dem Frauenfussball nicht nur dann Aufmerksamkeit und Begeisterung entgegenzubringen, wenn ein großes Turnier gespielt wird. Denn ein Ausnahmetalent könnte am nächsten Wochenende ganz in der Nähe das Spiel ihres Lebens spielen und es wäre sehr schade, das zu verpassen.

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