23.01.2019 - 07:53 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna | von: Frederik Petersohn
Christopher Heck: „Brauchen Ruhe in den Vereinen!“

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©Moritz Kegler

Am Jahresende 2018 ging alles ganz schnell. Viel schneller als erwartet. Und am 08. Januar 2019 endete beim 1. FFC in Frankfurt eine Ära. 1. FFC-U17-Bundesliga Cheftrainer Christopher Heck hat nach acht prägenden Jahren den Club am Brentanobad verlassen und ist neuer Cheftrainer der Bundesliga-Zweitligisten beim FSV in Wetzlar. Geplant war zunächst, allein die Leitung-1. FFC-Jugendkoordination abzugeben und erst am 30. Juni 2019 den Verein zu verlassen. Im Gespräch mit soccerdonna.de-Korrespondent Frederik Petersohn empfindet der Allrounder „Dankbarkeit für die Jahre beim 1. FFC in Frankfurt“ und „hat ein statistisch reines Gewissen!“ Und „überrascht“ war Chris Heck von der Anfrage aus Wetzlar nicht: Der Fußball-Lehrer vermisst indes klare Konzepte und deren Umsetzung im Mädchenfußball.


soccerdonna.de: Coach Heck. soccerdonna.de erfuhr vorab, dass Ihre Tätigkeit beim 1. FFC in Frankfurt quasi Ende Dezember 2018 endet. Und als wir einen Ihrer Kollegen baten, dazu dessen Einschätzung abzugeben, war der zunächst sprachlos und lachte dann laut los.


Chris Heck: Gut. Sie werden mir den Namen des Kollegen sicherlich nicht nennen wollen…


soccerdonna.de:: … ganz sicher nicht …


Chris Heck: … akzeptiert. Aber dieser Kollege steht ja mit seiner Reaktion nicht allein. Nicht Wenige vermuteten gar, das sei eine Finte und ich wollte meinen Marktwert testen. Nein. Das entspräche aber nicht meinem Charakter und meine Entscheidung stand fest.


soccerdonna.de: Der Reihe nach. Sie sind am 1. Juli 2011 beim 1. FFC in Frankfurt eingestiegen. Für welche Aufgabe oder Aufgaben waren Sie vorgesehen?


Chris Heck: Ich stand grundsätzlich vor der Aufgabe, die Jugendarbeit qualitativ nach vorne zu bringen. Der Blick auf junge und jüngste Spielerinnen war seinerzeit nicht sehr ausgeprägt. Damals war die Situation beim 1. FFC in Frankfurt eine andere als heute. Meisterschaft auf Meisterschaft und Spitzenspielerinnen gaben sich beim 1. FFC die Klinke in die Hand. Die Jugend hatte die vierte Geige gespielt. Ich war vor Beginn meiner Tätigkeit Sportlehrer in Darmstadt und habe immer großen Spaß an meiner Arbeit gehabt. Meine Meinung und meine Aktivität waren gefragt. Hier lag auch zunächst mein Schwerpunkt und dieser Ansatz gilt bis heute: Analysieren, zugucken, methodische Pflöcke einschlagen.


soccerdonna.de: Welche Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten müssen Trainer mitbringen?


Chris Heck: „Coach“ sein. Sie haben sich die Antwort ja schon selbst gegeben.


soccerdonna.de: Denn?


Chris Heck: Denn die treffendste Übersetzung des englischen Wortes „Coach“ ist „Zubringer“. Wenn Sie sich innerhalb der USA in einem Greyhound bewegen, dann in keinem Bus, sondern in einem Coach. Ein Bus fährt zeitlich überschaubare Strecken, der Comfort ist angemessen, nicht überragend. In Coaches sieht das anders aus. Übertragen auf den Mädchenjugendfußball hat das für uns Verantwortliche zur Konsequenz, längerfristig zu denken, die Mädchen auf längere Strecken vorzubereiten…


soccerdonna.de: … und die Fahrt `mal abzubrechen, wenn es notwendig ist. Eine Pause einlegen. Dann weiterfahren?


Chris Heck: Ganzheitlich Denken und Handeln. Das Wohl der Mädchen im Blick haben und die medizinischen Aspekte nicht zu vernachlässigen. Die Eltern und Geschwister mit im Boot zu haben.


soccerdonna.de: Und Verständnis aufbringen für spezifische Lebenssituationen?


Chris Heck: Permanent. Wenn Unvorhergesehenes in der Familie passiert, und Schulisches in den Vordergrund rückt. Was mache ich in einer solchen Situation? Ich habe die Pflicht, die Mädchen zu schützen. Die Auszeit bestimmen die dann selbst.


soccerdonna.de: Sehr empathisch gedacht und gehandelt. Ihre Gestik und Mimik sind vielfältig. Sie sind mal aufrecht und engagiert, mal lächelnd relaxed, mal ernst. In der Zone und auch in dieser Interviewsituation. Gehört es zu den Aufgaben eines Coaches, im Management variabel zu sein? Andersherum gefragt: Zehren Sie davon, beruflich nach Ihrer Schulzeit zunächst in einem mittelständischen Betrieb ausgebildet worden zu sein? Also Basiswissen erweitern?


Chris Heck: Glauben Sie mir! Körpersprache ist in meinen Job ein wesentlicher Faktor. Die Mädchen sehen und lesen das geradezu! Ohne Authentizität, kein Transport! Diese Erfahrung habe ich im Handel als junger Mensch, damals schon gemacht. Es ist ja nicht so, dass ich einen akademischen Grad führe, aber ich bin akademisch veranlagt und die unterschiedlichen Tätigkeiten haben sich zu einer einheitlichen Vorgehensweise verdichtet. Und wenn Sie das als Management bezeichnen, dann bin ich einverstanden. Meine Seminare und Beratertätigkeiten, meine sportlichen Trainingscamps: Gestik, Mimik, Management, Mädchenfußball. Die Deutschen haben ein Sprichwort: Den Kranz rundbinden!


soccerdonna.de: Den Kranz rundgebunden. Am Anfang Ihrer Tätigkeit waren die Zweige jedoch noch zu sammeln und vor zu sortieren!


Chris Heck: Ja. Besonders hart und anspruchsvoll ist das. Aber ich bin dankbar für die Jahre beim 1. FFC.


soccerdonna.de: Welchen methodischen Ansatz haben Sie beim 1. FFC in Frankfurt gewählt?


Chris Heck: Der wichtigste Schritt war, eine Basis in der Nachwuchsarbeit zu schaffen und mit anderen Vereinen sowie dem Verband in engem Austausch zu sein. Neben der sportlichen Entwicklung steht die Persönlichkeitsentwicklung der Spielerinnen im Vordergrund. Spaß und Leistungsansprüche beeinflussen sich gegenseitig und führen direkt zu den Punkten der Persönlichkeitsentwicklung. Im Umgang mit den Spielerinnen muss regelmäßig eine neue Motivation in ihnen entzündet werden. Dies geschieht am besten durch realistisch lösbare Aufgaben, die direkt den Lernfortschritt und die Lernakzeptanz beeinflussen. Mir ist es wichtig, dass dieser Ansatz ein grundlegender Bestandteil der Coaching-Arbeit ist.


soccerdonna.de: Ich frage Sie aus statistischer Sicht. Haben Sie einen Überblick über die Anzahl der Spielerinnen in den vergangenen Jahren und wer eine fußballerische Karriere eingeschlagen hat?


Chris Heck: In über 7 Jahren habe ich ungefähr 75 Spielerinnen betreut, davon sind zurzeit knapp Zweidrittel in der 1. oder 2. Bundesliga, oder in der Regionalliga aktiv. Ich habe ein statistisch reines Gewissen.


soccerdonna.de: Berufsskeptiker werden wegen Ihres beginnenden Zweitliga-Engagements die Stimme erheben, oder sich mindestens Gedanken machen. Die Frage ist, aus welchen Gründen Sie den Sprung von der Jugend in diese Position gewählt haben.


Chris Heck: Im Vordergrund steht die Tatsache, dass ich nicht nur dringend einen Tapetenwechsel brauchte, sondern meine Trainerkarriere in den Fokus rücken wollte. Die durchschnittliche Verweildauer der Bundesliga-Coaches bei einem Verein beträgt 2,7 Jahre und ich bin 8 Jahre für den 1. FFC tätig gewesen. Die Arbeit hat mir großen Spaß gemacht, aber seit einiger Zeit steht für mich fest: Ich möchte andere Aufgaben übernehmen!


soccerdonna.de: Sie werden aus dem Jugendbereich sicherlich sehr qualifizierte Angebote gehabt haben?


Chris Heck: Ja, und das ehrt mich sehr, denn die habe ich noch jetzt. Da sind Einige aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen. Die wollen mit mir in Kontakt bleiben und schlagen mir vor über ein Engagement zu sprechen, sobald ich das wünsche.


soccerdonna.de: Hat Sie das Angebot aus Wetzlar überrascht?


Chris Heck: Nein. Und gar so neu ist die Aufgabe für mich nicht. Ich bin bereits Interimstrainer und Co-Trainer beim 2. Bundesligateam in Frankfurt gewesen. Ich betrete kein Neuland in dieser Hinsicht. Und von Frankfurt aus ist es nach Wetzlar ein Katzensprung und mit dem sportlichen Leiter, Tufan Yener, bin ich auf Grund der Arbeit im Frauen- und Mädchenfußball in Hessen in einem ständigen Kontakt gewesen. Wir kennen uns in der Region und als das Angebot kam, habe ich mich gefreut, gerade über die Aufgabe, die jetzt ansteht. Das ist Motivation pur.


soccerdonna.de: Wenn auch beim 1. FFC in Frankfurt nun in finanzieller Hinsicht im Vergleich zu früheren Jahren sehr viel kleinere Brötchen gebacken werden, ist das Budget doch sicherlich ein anderes als in Wetzlar. Schreckt Sie diese Tatsache denn gar nicht ab?


Chris Heck: Nein. Ich bin nicht schreckhaft. Der FSV Hessen Wetzlar ist nun seit 2015 in der 2. Frauenfußballbundesliga und ist sportlich und wirtschaftlich in dieser Liga angekommen. Auch strukturell ist der Verein auf dem Vormarsch. Insofern weiß ich sehr genau, was in jeglicher Hinsicht auf mich zukommt. Und aus den im Vergleich geringen Mitteln haben die Kolleginnen und Kollegen in Wetzlar Sensationelles gemacht. So wie alle anderen Clubs in der 2. Bundesliga auch.


soccerdonna.de: Und ein anderes Ziel als den Klassenerhalt werden Sie nicht ausgegeben haben?


Chris Heck: Nein. Das Saisonziel war und ist der Klassenerhalt. In diesem Jahr könnte es bis zur letzten Minute des letzten Spieltages um Alles gehen und darauf werden wir die Spielerinnen vorbereiten und darauf unsere Arbeit ausrichten. Und um auf Ihre Frage nach meinen Wechselmotiven zurückzukommen: Diese Aufgabe reizt mich besonders. Diesen Weg mit den Frauen zu gehen, um gemeinsame Ziele zu erreichen und zu verwirklichen.


soccerdonna.de: Herr Heck, wir können und werden dieses Gespräch nicht beenden können, ohne einen Blick auf die Situation des Mädchenfußballs in Deutschland zu werfen. Insofern bitte ich Sie, die Situation anhand dreier Begriffe zu schildern.


Chris Heck: Das Grundproblem ist, dass erstens immer noch Vieles dem Zufall überlassen wird. Und daraus folgt zweitens, dass wir noch nicht nachhaltig genug arbeiten können und damit ist drittens verbunden, dass uns die Phantasie für Lösungen abhandengekommen ist.


soccerdonna.de: Wir sind sehr gespannt auf Ihre Erläuterungen.


Chris Heck: Wir fahren zu wenig Konzepte, die den Mädchen nützen. Der Mädchenfußball erfährt aktuell in Deutschland eine Stagnation, oder sogar einen Rückgang.


soccerdonna.de: Werden belastbare Zahlen vorgehalten?


Chris Heck: Für 2017 kann ich sagen, dass in Hessen 14 Prozent der Mädchen aufgehört haben und diese Zahl ist viel zu hoch.


soccerdonna.de: Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für diesen Rückgang?


Chris Heck: Gut, das werde ich nicht global beantworten können. Das sind ja immer individuelle Gemengelagen. Aber klar ist, dass die individuelle Förderung der Mädchen, die Fußball spielen, zwar versucht wird seitens der Verbände zu stärken, aber in meinen Augen müsste die Basis zwingend regional gestärkt werden. Und die Vereinsvorstände müssen sich mehr um die Frauen- und Mädchenabteilungen kümmern. Da gibt es Vereine, die ständig über die Sinnhaftigkeit des Mädchenfußballs streiten. Stattdessen brauchen wir Ruhe in den Vereinen.


soccerdonna.de: Streben Sie an, ein in Anführungsstrichen Bindungsprogramm für Mädchen aufzulegen?


Chris Heck: Ja, das können Sie als solches so bezeichnen, denn Talente sollten in der jeweiligen Region spielen, um sich zum einen in ihrer Umgebung zu entwickeln, und zum anderen aber auch die Breite zu stützen. Grundsätzlich nehme ich aber auch die Schulen in die Verantwortung. Konzepte, wie zum Beispiel in den USA, könnten erfolgreich sein. Und: Das Interesse am Mädchenfußball sollte in den Schulen zuerst durch Arbeitsgemeinschaften geweckt werden. Dadurch steigt wieder die Breite. Das hat dann auch wieder eine Stärkung der Spitze zur Folge.


soccerdonna.de: Ohne Breite, keine Spitze!


Chris Heck: Das ist ganz wesentlich. Diese Erkenntnis ist entscheidend und die Förderung von Toptalenten sollte auch sehr viel individueller gesehen werden…


soccerdonna.de: … denn nicht jede Spielerin kann und möchte so lange es geht mit Jungs spielen, und nicht jede Spielerin möchte im Internat leben!


Chris Heck: Völlig richtig. Individuelle Lösungen in Absprache mit der Spielerin, den Eltern, dem Verein, dem Verband und dem DFB sind von Nöten. Hier sind uns die Nachbarstaaten schon im Voraus. Vielleicht sollten wir mal über den Tellerrand schauen. Es gibt also viel zu tun.


soccerdonna.de: Chris, wir wünschen Ihnen frohes Schaffen und viel Erfolg in Wetzlar. Herzlichen Dank für Ihre, ganz persönlichen Einblicke. Im Sommer würden wir Sie gern wieder interviewen, dann wenn es Zeit für eine Rückschau ist.


Chris Heck: Sehr gern. Jeder Zeit!



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